Das stille Band Eine choreographische a capella Oper (UA 2012) Rezension von Dr. Daniele G. Daude

Die Aufführung beginnt mit zwei minimalen Gesten. Nachdem eine dauerhafte Stille im Raum eingetreten ist, wird den gesungenen pianississimo allmählich vernehmbar. Die kaum hörbare lang liegende Töne werden ein-, zwei-, dreistimmig erzeugt während die Dynamik den pianissimo nicht überschreitet. Da alle Partien sich in einem mittleren Bereich befinden – d.h. vom hohen Bereich der Bass-Bariton bis zum tiefen Bereich der Mezzosopranistin, vermischen sich Männer und Frauenstimmen in einer Art homogenisierende Klangwolke. Spätestens hier wird die Rolle der hallenden Akustik von St. Johannes Evangelist-Kirche spürbar. Es wird mit dem Echo gearbeitet, auf ihn gewartet, aufgebaut und gebrochen. Der erste forte wird von einem gemischten Duett unter der Vierung vollzogen womit der akustischen Klimax des Raumes vollständig ausgenutzt wird. Der zweite minimale Gestus erfolgt choreographisch: in äußerst Langsamkeit wachen die Sängerinnen aus ihrer Starre auf und lösen sich aus dem engen menschlichen Konglomerat die sie anfangs bilden, auf. Sie bewegen sich zunächst in steigender Geschwindigkeit doch dieser wird dann wieder verlangsamt. Wer die Gruppenbewegungen zu systematisieren sucht, wird zwischen zwei äußerst gegensätzliche Interpretationen oszillieren: handeln die Figuren nach Zufallsprinzip oder agieren sie nach genauen Regeln, welche dem Publikum jedoch verborgenen bleiben? Diese Frage erübrigt sich allerdings im Laufe der Aufführung. Denn nicht die Findung von verborgenen Regeln ist hier Thema, sondern die Flüchtigkeit und die Fragilität einer Gruppenkonstellation.Die fünf Sängerinnen bewegen sich auf eine etwa 2,30 Meter breite und 20 Meter lange Fläche, was mit dem mittleren Haupt- und Seitenschiffe bis zur Vierung der Johannes Evangelist-Kirche korrespondiert. Anfangs bilden sie menschlichen Konglomerate während dessen Figuren abwechselnd ein- und ausgeschlossen werden. Wir wohnen eine Aneinanderreihung von Tableaus vivants bei welchen zugleich Ergebnis der vergangenen Konstellation und Ausgangspunkt der nächsten sind. Diese Bilder sind daher stets ambivalent, flüchtig und labil. Um von einem Bild zum anderen über zu gehen, werden verschiedene Übergangstechniken eingesetzt womit die Übergänge zum zweiten grundlegenden choreographischen Element des Stückes fundieren. Denn gerade dort wo die vergangene Konstellation bereits aufgelöst und die neue noch nicht entstanden ist, wird die Spannung aufgebaut. Die Sängerinnen bewegen sich mal laufend, mal rennend doch erfolgt keine lineare Dramaturgie der Geschwindigkeit. Vielmehr dienen diese Abläufe dazu, Zeit und Raum zu strukturieren. Die abwechselnde Verlangsamung und Beschleunigung dynamisieren und rhythmisieren die Aufführung. Neben Gruppenbewegung führen die Sängerinnen noch Soli auf während dessen die Einzelfiguren individualisiert werden. Besonders auffällig sind zwei stark voneinander kontrastierende Figuren welche jedoch nicht aufeinander bezogen werden. Der Countertenor (Philipp Caspari) eröffnet den solistischen Teilen mit einer anspruchsvollen Leistung aus geschmeidigen Drehungen, Senkungen und plötzlichen Streckungen über eine lange Zeit hinaus wobei er den vollständigen Raum nutzt. Anders der Bass-Bariton (Philipp Mayer) dessen Soli aus Biegungen und Streckungen von Beinen, Rücken und Hals bestehen. Wenn die Bewegungen dieser Figur in viel engeren Raum erfolgen, sind die Übergänge besonders zielstrebig und raumeinnehmend vollzogen, so dass diese zwei Figuren für zwei sehr unterschiedliche Nutzung des Raumes stehen.

Die Musik von Ruth Wiesenfeld (1972) mag anfangs noch an Ligetis Lux Aeterna erinnern doch der Vergleich hört bald auf. Denn die mittlerweile nicht mehr Unbekannte Figur der Neuen Musik komponierte hier einen flexiblen Tongerüst mit langen anhaltenden Tönen, eingeplante Echos und stimmliche Distorsion worauf die Sängerinnen die theatralen Vorgängen sehr individuell gestalten konnten. Zur Geltung kommt diese Musik also am besten auf die Bühne. Der wirkungsvolle Übergang von der Stille zum Ton am Anfang dürfte dafür exemplarisch stehen, wobei der Erfolg dieser heiklen Passage sehr von der Performanz des Ensembles abhängt. Auf die junge Choreographin Magda Korsinsky (1981) musste ein Auge behalten werden denn sie gehört zweifelsohne zu einer aufsteigenden Generation zeitgenössischen Choreographen die sich an Gattungsgrenzen nicht halten.


Das stille Band (UA 2012), Wiederaufnahme 15. und 16. März 2013

Idee/Konzept/Choreographie: Magda Korsinsky
Komposition/musikalische Leitung: Ruth Wiesenfeld
Komposition/Choreographie/Performance: Johanne Braun, Philipp Caspari,
Beate von Hahn, Philipp Mayer, Antonia Munding, Oliver Uden

Licht: Lutz Deppe, Kostüme: Miriam Marto,
Choreographische Beratung: Jan Burkhardt

Mit:

Johanne Braun (Alt), Philipp Caspari (Countertenor), Philipp Mayer (Bass-Bariton), Antonia Munding (Mezzosoprano), Oliver Uden (Tenor)

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